19. Kapitel
Die beiden Vampire saßen tief in Gedanken versunken im Wohnzimmer, auf dem Tisch zwischen sich eine Karaffe mit rot funkelndem Blut. Die große Standuhr in der Eingangshalle zählte tickend die Sekunden.
»Vielleicht sollten wir zu ihm gehen. Vielleicht braucht er Hilfe«, sagte der große Osmane stirnrunzelnd. Sein Gefährte trug eine ähnlich grimmige Miene zur Schau, schüttelte aber den Kopf. Erneut senkte sich Stille über die grübelnden Männer. Beide horchten auf das Geräusch einer sich nähernden Kutsche, doch selbst ihre scharfen Vampirohren konnten nichts vernehmen.
»Vater?«
Große grüne Augen spähten durch einen Türspalt ins Zimmer, und Ismail sprang auf.
»Ah, gut, ihr seid nicht beim Trinken«, sagte Violet, die sich noch immer nicht an den Anblick bluttrinkender Vampire gewöhnt hatte. Sie war, wie sich jetzt zeigte, im Nachthemd.
»Warum bist du noch wach?«, sagte ihr Vater vorwurfsvoll, bot ihr aber fürsorglich seinen Stuhl an.
»Ich konnte nicht schlafen. Seit Catherine weg ist, kann ich nur schlecht schlafen, und jetzt auch noch Patrick ... wann wird er wieder da sein?«
Alexander lehnte sich seufzend zurück. »Mach dir keine Sorgen um Patrick. Er ist ein starker Mann.«
Den Blick auf die Karaffe geheftet, strich sie mit den Fingerspitzen über das geschliffene Kristall. »Ein starker Vampir, meinst du ... Alexander, ich will mein Kind wiederhaben.«
In Alexanders Wange zuckte ein Muskel. »Patrick wird die Namen so oder so herausbekommen, und wenn wir alle diese Schurken erwischt haben, werden wir nach Mikhail schicken. Dann bekommen wir beide unsere Kinder wieder zurück. Du hast mein Wort.«
Das klang ermutigend - wären da nicht die Worte »so oder so« gewesen.
Delphine, die Vampirfrau, die Ismail nach ihrer Flucht aus der Bluttrinkerhöhle gefangen genommen hatte, hatte sich bei ihrem Sprung aus dem Fenster schwere Verletzungen zugezogen. Es hatte eine Weile gedauert, bis sie vernehmungsfähig gewesen war, doch sie weigerte sich, etwas über ihre Gruppe zu verraten. Patrick wollte nicht darüber reden, aber Violet wusste, was jetzt geschehen musste: Wenn Delphine nicht freiwillig Auskunft gab, würde Patrick sie als Clanführer dazu zwingen müssen.
Aber ein gewaltsames Eindringen in die Gedanken eines anderen war nichts gegen das, was Violet und ihrem Kind zugestoßen wäre, wenn Delphine und ihre Komplizen Erfolg gehabt hätten. Trotzdem, Violet schreckte vor der Vorstellung zurück. Angelica hatte ihr verraten, dass ein Mensch (auch ein Vampir) schwachsinnig werden konnte, wenn man seinem Verstand zu sehr zusetzte.
Dabei ging es Violet weniger um Delphines Schicksal, als vielmehr darum, wie sehr es Patrick belasten musste, der strikt gegen das - zumindest unerlaubte - Gedankenlesen war. Selbst wenn dieser Jemand es nicht anders verdient hatte.
Auf einmal stieg ihr der Duft von Heidekraut und schottischer Bergluft in die Nase, und Violet sprang auf.
»Er kommt!«